Berlin
Chaplins Räder im Getriebe
Döblins Alexanderplatz,
Zarah Leanders schöne Beine.
Kurt Tucholsky besingt
die ewig ferne Liebe –
vorbei, verweht, nie wieder.
Unter Flaggen sitzt der Führer,
in “Kabale und Liebe”
krümmt sich der Wurm.
Vogel Tucholsky ist ausgeflogen,
mit ihm die ganze Schar –
vorbei, verweht, nie wieder.
Lebendige Kulisse, früher wie heute, Zeitriss.
Berlin, nie eine Stadt, stets ein Projekt, abwärts.
Zuflucht der Flüchtigen, Endstation der Ruhelosen,
Transfer der Toten.
Claudia Simone Dorchain
Irgendwo in D
Die Straßen endlos, fleckig wie Erbrochenes
münden in Paläste, wo König Versicherung regiert
immer riecht es nach Schule, Scheuermittel und Brot
Gekachelte Schlachthäuser spucken Blut in den Fluss
endlich tragen die Rinder humane Binden
über todgeweihten Augen, rückwärts gewandt
Touristenfalle Loreley unbekannt verzogen
die blondierte Tochter hat 890 Facebook-Freunde
Gaststätten-Unruhe, nie schmeckte Bier bitterer
Das ist der ewige Bericht vom Erdenrund,
meint Baudelaire
Ich weiß nicht, ob wir den Ausländertarif für Sie beantragen können,
sagt die Sachbearbeiterin aus Brandenburg.
Claudia Simone Dorchain
Stummes Lied
Kein Ort
bietet meinem Skelett
ein Lager der Zuflucht.
Werde liegen
in Echos Schatten
erdrosselt im eigenen Haar.
Werde vergossen sein
abwärts aus dem Becher
wie ein Trank ins Nichts,
wo schwarzer Wein am Boden rollte
Bei jedem Schritt
spüre ich die Knochenzehen
in meinem Schuh.
Claudia Simone Dorchain
Brüder
Wir schätzen nur die dunkleren Geschicke
in unseren Herzen brennt kein Ewig-Licht
und Wetterzittern über Hügeln, nachts
ist heimatlich, auch ohne Melodie.
Wir lieben nicht. Das Spielzeug ist für Arme.
Zerbrochen liegt die Puppe dort im Saal
und lächelt fleckig unter altem Putz
verrenkte Glieder, abgewandt.
Doch manchmal schneidet geller Vogelschrei
durch unsere Nacht, jäh, unverhofft
starre Finger kränzen Mohn
um deine wächserne Stirn.
Claudia Simone Dorchain