Das Philosophieren als Denkgeschäft hat historisch keinen festgelegten Ort. Es gab in der Antike Philosophen, die sich auf der Strasse oder auf dem Marktplatz trafen, wie es Sokrates vorlebte, der seine Mitmenschen aus ihrem Alltag heraus mit beunruhigenden Fragen konfrontierte, wie etwa „Warum machst du das, was du gerade tust?“
Andererseits entwickelte sich bereits im Altertum eine ortsgebundene und kanonische (einer bestimmten Lehrmeinung folgende) Philosophie, die spezielle Orte besetzte – begonnen mit der Stoa als Versammlungshalle der Stoiker, der Akademie Platons, und den Peripatetikern von Aristoteles – Schulen ausprägte, deren sich die Schüler zugehörig fühlten.
Im europäischen Mittelalter waren die Klöster und Klosterschulen die bevorzugten Orte des Philosophierens und boten Schutz und Anregung, um Klassiker zu studieren. Hildegard von Bingen, die als einzige Frau den Titel „Kirchenlehrer“ innehatte und auch diplomatische Beratungen für Kaiser Barbarossa durchführte, gehörte zu den Klosterphilosophen.
Zugleich entwickelte sich mit der Sorbonne in Paris als Ausgangspunkt, gefolgt von Universitäten in Oxford, Cambridge, Salamanca, die erste Hochschulkultur in Europa – lange nach der Hochschulkultur im arabischen Raum. Ein großes orbild war Aristoteles, der als „der“ Philosoph dieser Zeit galt, doch auch „heidnische Meister“ wie Seneca und Avicenna.
In der Neuzeit veränderte sich der Ort des Philosophierens erneut, weil sich die Sozialstruktur änderte. Mehr und mehr Adlige und wohlhabende Bürger trafen Gleichgesinnte in ihrem Wohnzimmer, um dort über Philosophie, Literatur und Politik zu plaudern. Der Salon als Ort des Philosophierens war geboren und zog Intellektuelle an.
Und heute? Alle Orte des Philosophierens existieren gleichzeitig – die zufälligen Orte im Alltag, wo immer Begegnung geschieht, die Schulen, die Klöster, die Universitäten, die Salons und viele mehr. Und eine weitere Besonderheit hat unsere Gegenwart: sie vervielfältigt die uralte Tradition des philosophischen Denkgeschäfts multimedial.
Ein Blick in den philosophischen Salon in Geschichte und Gegenwart wäre unvollständig, ohne eine der einflussreichsten Salonières vorzustellen.
Eine der wichtigsten Salonières war Anne de Lenclos, genannt Ninon de Lenclos (1620-1705). Sie war eine Adlige, für ihre Zeit hochgebildet, und verfügte über unabhängige Mittel, weswegen sie eine selbstbewusste Stellung in der damaligen Gesellschaft einnehmen konnte. Sie hat nie geheiratet, aber sie hatte zahlreiche Liebhaber, die ihrerseits die größte Achtung vor ihr besassen. Ihre beiden Söhne liess sie von den jeweiligen Vätern erziehen, weil sie ihre Lebensführung nicht mit Kinderpflege belasten wollte. Doch interessanter als ihre Lebensführung war ihr philosophisches Denken. Sie war von Epikur geprägt und folgte der Devise, dass das Leben Freude machen will, und alles mit Masshaltung erfahren werden soll. Zugleich verstand sie sich als Materialistin und Atheistin und spottete über den Glauben ihrer Zeit, sowie über die heuchlerische Moral. In ihrem philosophischen Salon bei Paris sind zahlreiche Impulse für Forschung, Lehre und Literatur gesetzt worden. Arouet (Voltaire), Molière, Jean de la Fontaine und viele andere waren bei ihr zu Gast und wurden von ihr inspiriert. Ihr Briefwechsel mit dem jungen Baron de Sévigné, der bis heute erhalten ist, zeigt sie als eine der ersten Feministinnen, die – 300 Jahre vor Simone de Beauvoir – ganz klar erkannt hat, dass Frauen von Kindheit an systematisch unterdrückt werden und der gesellschaftlichen Suggestion erliegen, dass ihre Unterdrückung die ihnen angestammte Rolle sei.